For sale
Es ist auf dem Foto vielleicht nicht zu erkennen, aber so steht es darauf: Se vende, zu verkaufen. Die Kubaner, insbesondere die jüngeren, sehen keine andere Alternative als auszuwandern. Im August dieses Jahres kamen so ca. 20.000 kubanische Staatsbürger illegalerweise an die US-amerikanische Grenze. In den letzten Monaten waren es 211.515 Kubaner, die in die USA auswanderten, schätzungsweise 2 % der Bevölkerung, durchschnittlich 641 Immigranten täglich.
Diese endlose Migrationsbewegung ist eine Katastrophe: Die Personengruppe über 60 Jahre nimmt einen Anteil von ca. 21,5 % der Bevölkerung des Landes ein. Das Gros der Auswanderer sind zwischen 20 und 40 Jahre alt. Das heißt, dass Kuba die aktiven Arbeitskräfte verloren gehen, die für den Wiederaufbau seiner maroden Wirtschaft unverzichtbar wären. Ein wahres Desaster für das Land.
Se vende, steht auf der ersten Zeile, und kleingeschrieben: este edificio con sus 11 apartamentos y espacios utilizables (dieses Gebäude mit seinen 11 Wohnungen und nutzbaren Räumen).
Die Kubaner sehen (und haben) keine Perspektiven, keine Zukunft. 63 Jahre sind mehr als genug für das sozialistische Unterfangen, ein gescheitertes Experiment. Doch der Chemielaborant versucht es weiter, wissend, dass es ihm nicht gelingen wird. Es ist nicht leicht aus einer Insel wie Kuba zu entfliehen. Und es ist teuer. Es wird also alles verkauft. Mobilien und Immobilien. Altes und Neues. Funktionsfähiges und Kaputtes. Wer bleibt, kann alles gebrauchen. Und wer geht, sieht zu, dass er so viel Geld zusammenbekommt, wie möglich. Denn er muss - in besten Fall - einen Flug bezahlen, um im Anschluss einen mehr als beschwerlichen Weg Richtung Vereinigte Staaten einzuschlagen, in dessen Verlauf unzählige „Helfer“ bezahlt werden wollen. Manche wagen die gefährliche Flucht über das Meer mit selbstgebauten Transportmitteln. Viele kommen nicht an oder werden von der amerikanischen Küstenwache gefasst und nach Kuba zurückgeführt. Für andere ist der Weg Richtung USA schrecklich lang, denn sie brechen von irgendeinem Ort in Südamerika auf. Ihnen steht eine unvorstellbare Reise über die Selva de Darién bevor.
Die als Darién Gap, Darién-Lücke, bekannte Region an der Grenze zwischen Nord- und Südamerika liegt auf den Gebieten von Panama und Kolumbien. Auf Spanisch wird sie als Tapón del Darién bezeichnet, Darién-Pfropf, da das bergige und sumpfige Regenwaldgebiet die ellenlange Panamericana, die Straßenverbindung zwischen Alaska und Feuerland, unterbricht. In dem Gebiet gibt es dennoch ein weites Netz von Wegen und Pfaden, die es ermöglichen, es zu Fuß zu durchqueren. Die Reise durch die Selva de Darién ist nicht nur mit den natürlichen, sondern auch mit den „menschengemachten“ Gefahren verbunden. Denn Verbrecherbanden haben den Darién-Urwald für sich entdeckt und terrorisieren die ohnehin verausgabten Migranten. Überfälle, Raub, Vergewaltigungen und Mord gehören zu den berechenbaren Risiken.
Die Kubaner nehmen das alles in Kauf, als wäre es ihnen lieber, dort zu sterben als in Kuba den täglichen Kampf durchzumachen, um zu überleben. Doch es ist nicht nur das tägliche Brot, was ihnen in Kuba fehlt. Ihnen fehlt obendrein die Freiheit. Die Freiheit zu sagen, was sie denken und ihr Leben so zu gestalten, wie sie es für richtig halten. Offensichtlich sind sie davon überzeugt, in ihrem eigenen Land ist dies alles nicht zu erreichen. Patria o muerte? Sie ziehen eine etwaige Muerte der Patria vor.
Nat Neumann, September 2022
Die an dieser Stelle vorgesehenen Inhalte können aufgrund Ihrer aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt werden.
Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Diese Webseite verwendet Cookies, um Besuchern ein optimales Nutzererlebnis zu bieten. Bestimmte Inhalte von Drittanbietern werden nur angezeigt, wenn die entsprechende Option aktiviert ist. Die Datenverarbeitung kann dann auch in einem Drittland erfolgen. Weitere Informationen hierzu in der Datenschutzerklärung.