Ideologie frisst Hirn
„Manu Pineda hat dich blockiert. Du kannst @ManuPineda nicht folgen und die Tweets von @ManuPineda nicht sehen, da du blockiert wurdest“. Diese Nachricht erhielt ich von Twitter, als ich das Profil des Manuel Pineda aufrief. Ich rief seinen Account aus Neugier auf. Über das als „Manu Pineda“ bekannte Mitglied der Fraktion „Die Linke“, GUE/NGL Mitglied im Europäischen Parlament, las ich in den letzten Tagen aufgrund des Gipfeltreffens EU-CELAC mehr als genug.
Viele seiner kubanischen Kritiker berichteten, sie seien von ihm bei Twitter blockiert worden, er habe sie alle blockiert. Und ich, die sich bei Twitter mit Posten und Kommentaren eher zurückhält, wollte es wissen. Und was für eine Überraschung: „Manu Pineda“ hatte Nat Neumann blockiert. Und dies bereitete mir Genugtuung. Denn das hieß für mich: „Manu Pineda“ hat Notiz von Nat Neumanns Berichten und Meinungen zur Lage Kubas genommen. Möglicherweise über mein Buch „Ein kleines Stück Himmel“? Denn dort erwähne und zitiere ich diesen unverbesserlichen Vertreter der spanischen Linken folgendermaßen: „Es ist mehr als zynisch, wenn der spanische Europaabgeordnete Manuel Pineda öffentlich beteuert, dass es in Kuba keine willkürlichen Verhaftungen gibt, keine Folterungen und kein Verschwindenlassen von Menschen gibt. Die Menschen, die in Kuba im Gefängnis sitzen, hätten ein Verbrechen begangen, wie in jedem Rechtsstaat, Kuba sei ein Beispiel für die Achtung der Menschenrechte, Kuba sei eine tief verwurzelte partizipative Demokratie.“
Nun Herr Pineda hat damals mit dieser Aussage den vielen politischen Gefangenen in Kuba eine kräftige Ohrfeige gegeben. Er widersprach damit nicht nur dem, was wir Kubaner mittlerweile über die Untaten von Castros Revolution und über die aktuelle Diktatur wissen, sondern auch entsprechenden Berichten der internationalen Organisationen „Amnesty International“ und „Prisoners Defenders“. Herr Pineda, der sich über kubanische Aktivisten, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung am 27. November 2021 in Kuba ausüben wollten, folgendermaßen äußerte: Die Stiefellecker, die Butler, die Lakaien der Würmer (gusanos) wollen unser brüderliches Volk, unser Bezugsvolk.... destabilisieren. Herr Pineda, dessen üppiges Einkommen ich mit meinen Steuern indirekt finanziere, verbreitet falsche Tatsachen. So habe ich mir die Rolle eines Europa-Abgeordneten nicht vorgestellt.
Doch, ich fand die Möglichkeit, Herrn Pinedas Twitter Account doch zu erreichen und vermittelte ihm meinen letzten Post „Das Schweigen der Linke“. Ich hoffe, dass Herr Pineda meine Zeilen gelesen hat. Hat er vielleicht darüber sinniert, wie es wäre, in einem Land ohne demokratische Wahlen zu leben? In einem Land, in dem ihm nicht erlaubt wäre, seine politischen Unwahrheiten zu verbreiten? Für Herrn Pineda würde es heißen, er könnte keine Politik machen, würde zum Beispiel die spanische konservative Partei „Partido Popular“ oder die rechte Partei „VOX“ für Dekaden in Spanien regieren. Was wäre aus Manuel Pineda dann geworden? Wäre er auf die Straße gegangen wie die vielen jungen Menschen in Kuba, die um Freiheit ringen? Dann wäre er, so wie viele von ihnen, ein politischer Gefangene.
Nicht nur ich konfrontierte Manuel Pineda mit der Wahrheit. Im Rahmen des oben genannten Gipfeltreffens EU-CELAC lauerten ihm kubanische Aktivisten auf, als er über einen Brüsseler Platz ging. Unter anderen der kubanische Wissenschaftler der Biologie Ariel Ruiz Urquiola. „Bewaffnet“ mit einem Plakat sprach er Herrn Pineda an, der darauf kurz reagierte. Doch Herr Pineda wollte weder sehen noch hören, was Herr Ruiz Urquiola ihm zeigte und zu sagen hatte. Er lief weiter, schaute gerade aus - Brust (und Bauch) raus -, ließ seinen Blick kurz zur anderen Seite, kurz zum Aktivisten schweifen und lächelte sarkastisch. Schau wie die kubanische Diktatur krebskranke Frauen behandelt. Sie werden getötet, gefoltert. Ihnen wird die medizinische Betreuung verweigert, sagte Herr Urquiola unter den Rufen seiner Begleiter: Libertad para Cuba, Libertad para los presos políticos und Viva Cuba Libre. Sein Plakat zeigte schreckliche Bilder von vom Krebs angefallenen Brüsten. Dr. Ruiz Urquiola muss es wissen. Seine Schwester Omara Ruiz Urquiola, Kunsthistorikerin, ehemalige Dozentin der Hochschule für Gestaltung in Havanna, die an die Proteste der San Isidro-Bewegung für Menschenrechte Ende 2020 teilgenommen hatte, erkrankte an Brustkrebs und musste in die USA reisen, um sich medizinisch behandeln zu lassen. Der wahrscheinlich eher aus Verlegenheit grinsende Pineda, griff sich ins Gesicht, seinen rechten Mittelfinger zeigend (ich sah jene Geste, die wir kennen), bevor eine rothaarige Genossin ihn „rettete“ und weitere rote Genossen ihn schützend in ihren Kreis aufnahmen, manche mit Brötchen in Händen (man hatte sie offensichtlich während des Frühstücks oder der Mittagspause gestört), andere mit der freien Hand abwinkend. Ein recht aggressiver Genosse stellte sich den Demonstranten. Die Gruppe linker Abgeordneten zog sich in das Brüsseler Regierungsgebäude zurück, sicherlich ohne die lauten Rufen der kubanischen Aktivisten zu überhören: Libertad, libertad, libertad …
Das war nicht das letzte Mal während des Gipfels, dass Herr Manuel Pineda kubanische Aktivisten traf. Mit dem Kommentar Qué rico es defender el comunismo y la represión en Cuba tomándose un cafecito en Europa y alegando que viven en una democracia para evitar las críticas („Wie schön ist es, den Kommunismus und die Unterdrückung in Kuba zu verteidigen, während man in Europa einen Kaffee trinkt und behauptet, in einer Demokratie zu leben, um Kritik zu vermeiden“) wurde ein Video bei Twitter veröffentlicht. Es spielt in einem Straßencafé. Man sieht gepflegtes Kopfsteinpflaster und eine stehende Person, die sich mit zwei Männern an einem Tisch offensichtlich freundschaftlich unterhält. Einer von ihnen ist Herr Pineda. Er sitzt aufrechtauf einem wohl zu klein geratenen Stuhl, hält seine linke Hand an der Armlehne und hält mit der rechten eine Zigarette dicht an seinem Gesicht (diesmal ist sein Mittelfinger in korrekter Position). Er schaut in die Kamera, bzw. zu der Frau, die plötzlich ruft: Tú eres malo, Pineda! (Du bist böse, Pineda). Der stehende Freund erwidert: El único! (Einzigartig!). El único!, wiederholt die Frau. Wieder sehe ich in Pinedas Gesicht Verlegenheit. De verdad que es malo Pineda, digo la verdad (Pineda ist wirklich böse, ich sage die Wahrheit). Pineda reagiert mit einem unsicheren Lachen, als wüsste er, wovon die Frau redet, und fragt, warum. Yo soy una cubana activista por los derechos humanos de Cuba (Ich bin eine kubanische Aktivistin für Menschenrechte in Kuba).
Pineda murmelt irgendwas, nickt, lacht ungläubig und zieht an seiner Zigarette, unsicher, in der Defensive. Obwohl die Stimme seines Begleiters etwas undeutlich zu vernehmen ist, ist nicht zu überhören, dass er versucht, ihn zu erlösen: Esto es una democracia, que podemos estar haciendo lo que quieras … Respeta, esto es una democracia! (Das hier ist eine Demokratie, wir können machen, was wir wollen … Respekt, dies ist eine Demokratie!). Und während die Aktivistin und der Freund des Pineda sich auseinandersetzen, schweigt Herr Pineda, scheint sich an seiner Zigarette festzuhalten, seine Augen wandern unruhig zu den Beteiligten (gefällt ihm das Argument des Freunds zur Demokratie nicht?), bis er die Diskussion (die eigentlich ihm galt) unterbricht und erbittet, das Telefon (wegen des Filmen) auszuschalten. Er verlangt sodann, in Ruhe gelassen zu werden, er unterhalte sich privat mit seinem Freund. Der Freund signalisiert vielmehr mit einer herabwürdigenden Geste, die Frau solle gehen und befiehlt: Andando! (Hau ab!). Sie erwidert gekonnt und ruhig: No andando! Cuba Libre,CUBA LIBRE! Libertad para los presos políticos! Und konnte sich beim Gehen offensichtlich den persönlichen Kommentar bezüglich Manuel Pineda nicht verkneifen: Yo lo hacía más delgado! (Ich dachte, Sie wären schlanker!).
Vielleicht derselben kubanischen Aktivistin, die Manuel Pineda bei einer Tasse Kaffee gestört hat, gelang es, ins Gebäude des Europäischen Parlaments hereinzukommen. Dort traf sie auf einen Mann, der bekleidet mit einem weißen T-Shirt mit der blau-weißen Aufschrift SOY CUBA (Ich bin Kuba) auf ihre Begrüßung Hola! freundlich reagierte. Habla español?, fragte sie ihn. Ja!, antwortete er stolz, ging auf sie zu und verneinte ihre Frage: Y usted es cubano? (Sind Sie Kubaner?). Ahh, porque veo que dice: soy Cuba! (Oh, weil ich sehe sie tragen: ich bin Cuba!). Soy amigo de Cuba (Ich bin ein Kuba-Freund!), verteidigte er sich. Möchten Sie den zuschauenden Kubanern etwas sagen?, fragte die Aktivistin weiter. Der Kuba-Freund erklärte dann unter anderen, er trage sein T-Shirt, um die Freundschaft mit Kuba auszudrücken. Überaus höflich erklärte die Aktivistin ihm: La amistad más bonita me gustaría que la mirara en el pueblo cubano, donde tenemos ahora mismo mil y pico de presos políticos por haber pedido libertad (Mir würde es gefallen, wenn Sie die schönste Freundschaft dem kubanischen Volk entgegenbringen würden, wo wir zur Zeit über tausend politische Gefangene haben, weil sie um Freiheit gebeten haben). Der Zuhörer wurde stutzig. Madres que están injustamente en las cárceles con sus hijos esperando (Mütter, die zu Unrecht mit ihren Kindern inhaftiert sind und warten). In welchem Land?, fragt der Herr, der bis dahin geduldig zugehört, genickt und offensichtlich nicht alles verstanden hatte. In Kuba, antwortete die Aktivistin. Er schüttelt den Kopf und sagt beim Gehen, dies stimme nicht. Er scheint etwas aus dem Konzept gebracht worden zu sein, läuft in Richtung der ersten Tür, die er sieht, hinter der sich aber ein WC befindet, und geht weiter, das in den Farben der Flagge Kubas bedruckte Freundschaft-Shirt zeigend, bevor er sich unter den leisen Rufen der Aktivistin umdreht und wieder ruft: Mentiras! (Lügen).
Blinde Ideologie frisst Hirn!
Nat Neumann, Juli 2023
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