Kubas anderes Modell
„Ich bin empört über die Doppelzüngigkeit, mit der andere gezwungen werden, in sozialistischen Nöten zu leben, während sie die Freuden des Kapitalismus genießen“, so Mario Vargas Llosa. Also nicht anders gemeint, als mein Diskurs im Post „Wer die Wahrheit nicht kennt“. Kaum hatte ich diesen veröffentlicht, lese ich in der deutschen linken Presse „Kuba steht für ein anderes Modell“. Und das kann ich logischerweise nicht einfach so stehen lassen. Der dazu gehörige Artikel erschien in der Zeitung „Neues Deutschland“ am 02. August 2023. Es hieß: „Delegation von Linkspartei und Cuba Sí macht Havanna rund um Revolutionsfeierlichkeiten ihre Aufwartung“ und berichtet darüber, dass Tobias Bank, der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, und die Fraktionsvorsitzende dieser Partei im Bundestag, Amira Mohamed Ali (die übrigens vor ein paar Tagen zurückgetreten ist), sowie weitere Vertreter und Vertreterinnen der Partei und des ihr nahen Vereines das Land anlässlich der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Sturms auf die Moncada-Kaserne am 26. Juli 1953 besuchten. Die Delegation habe ein eng getaktetes Programm in Havanna und Santiago de Cuba gehabt.
Herr Bank war- so die Meldung - positiv überrascht von dem, was er in Kuba angetroffen hat. Nach allem, was er im Vorfeld gehört und gelesen hat, hätte er einen größeren Mangel und längere Schlangen vor den Geschäften erwartet. Obschon dieser Herr wohl zugegeben habe, in der Kürze der Zeit nur einen Ausschnitt gesehen zu haben. Herr Bank sei also positiv überrascht. Er hat einen größeren Mangel erwartet. Zieht er diese Feststellung aus der Erfahrung seiner Delegation in den Hotels, in denen sie untergebracht waren? Weil er Seife im Bad hatte und Fleisch auf den Tellern der guten Restaurants, die er besuchte? Der Ausschnitt, den Herr Bank gesehen hat, scheint winzig gewesen zu sein, kein Wunder, dass er überrascht war. Wie wäre es gewesen, wenn Herr Bank und seine Delegation bei kubanischen Familien untergebracht worden wären? Bei Familien, die keine Verwandten im Ausland haben, die sie finanziell unterstützten. Bei Familien, die Tag für Tag gezwungen sind, umherzuschweifen in der Hoffnung, Lebensmittel für eine karge Mahlzeit zu bekommen. Bei den Familien, in denen die Eltern auf das rationierte Brot verzichten (falls es welches zu kaufen gibt), um dem Kind das Pausenbrot zu garantieren. Bei Familien, deren Kinder keine gesunde Mahlzeit bekommen können. Herr Bank hat längere Schlangen vor den Geschäften erwartet. Hat niemand Herrn Bank erzählt, dass die Regale der Läden, in denen die rationierten Lebensmittel verkauft werden, so gut wie leer sind? Verschwieg man Herrn Bank, dass man in Kuba in den Geschäften, in denen es regelmäßig etwas zu kaufen gibt (nicht unbedingt, was man braucht) nur mit konvertibler Währung bezahlen kann? Ich gehe davon aus, dass Herr Bank davon nichts ahnte, sonst wäre er gar nicht überrascht gewesen. Oder ist Herr Bank vielleicht an Geschäften vorbei gegangen, als gerade der Strom für Stunden ausgefallen war? Der Ausschnitt, den Herr Bank gesehen hat, ist offensichtlich so winzig, dass es sich eigentlich verbietet, sich eine Meinung über die Lage des Landes zu bilden, geschweige denn zu äußern.
Größere Ausschnitte hätte er im Netz gesehen, veröffentlicht von Kubanern, die auf der Insel leben. Die tagtäglich sehen und erleben, wie die Mitmenschen in ellenlangen Schlangen um gefrorenes Hähnchen oder ein paar Würstchen kämpfen, manchmal mit Waffengewalt. Hat man Herrn Bank und seine Delegation nicht an den Müllbergen in Havanna vorbeigefahren, in denen ältere Menschen nach Essbaren suchen? Oder hat Herr Bank gar aus dem Anblick der riesigen Bäuche der Regierungsriege um Díaz-Canel geschlossen, das Volk hätte genug zu essen?
Wir haben diesen Zeitpunkt ausgewählt, weil die US-Blockade weiterhin intakt ist und Präsident Joe Biden sein Wahlkampfversprechen, Sanktionen abzubauen, noch nicht geliefert hat, so Herr Bank weiter. Und: Im Zweifelsfall sterben hier Menschen, weil medizinische Versorgungsgüter nicht ins Land gelangen.
Mir scheint, die Desinformation bezüglich Kuba umfasst die Partei „Die Linke“ in ihrer Gesamtheit. Ich brauche eine Erklärung dafür, wieso Politiker sich anmaßen, über etwas öffentlich zu reden, von denen sie keine Ahnung haben. Es dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben, dass es sich bei diesen Maßnahmen, von denen Herr Bank sprach, um ein Embargo handelt. Blockade, Herr Bank, ist der wirtschaftliche Kurs, den Fidel Castro 1959 in Kuba installierte, als er mit seinen absurden Ideen glaubte, die ökonomischen Gesetze neu schreiben zu können. Blockade ist sein sozialistisches Experiment mit einer florierenden Wirtschaft, wie die Kubas vor 1959 war. Blockade ist das, was er hervorgerufen hat, als er die private Initiative erdrosselte und dachte, der Staat könnte ein Volk ernähren, während er seine Hände gebunden hält. Blockade ist das, was Kubas totalitäres Regime aufrechterhält, indem es den 64 jährigen falschen Kurs des in Wirtschaftssachen inkompetenten Castro blind folgt. Blockade ist das, was sie aus meiner schönen Insel gemacht haben: ein armes, bankrottes, erbärmliches Land, wo das Leben nicht lebenswert ist. Das, was Sie meinen, Herr Bank, heißt Embargo. Und obwohl es sich in der Tat auf den grenzenlosen Wirtschaftshandel zwischen den USA und Kuba auswirkt, ist es mitnichten der Grund für den katastrophalen Zustand der kubanischen Wirtschaft. Was das US-Embargo gegen Kuba umfasst, darüber können Sie sich sicherlich selbst informieren, bevor Sie wieder eine Meinung dazu äußern. Ich kann Ihnen heute kurz sagen, was es nicht umfasst, nämlich den Export nach Kuba von medizinischen Produkten, Lebensmitteln und anderen Artikeln zur Unterstützung der kubanischen Bevölkerung, unter anderen die gefrorenen Hähnchen, für die Menschen in Kuba anstehen. Seit Anfang des Jahres haben die Vereinigten Staaten fast 900 Millionen Dollar an medizinischen Exporten nach Kuba genehmigt, 2022 mehr als 800 Millionen, doppelt so viel wie 2021. Nein, Herr Bank, es sterben in Kuba nicht Menschen, weil medizinische Versorgungsgüter nicht ins Land gelangen. Es sterben Menschen, weil Medikamente aufgrund der kubanischen Misswirtschaft fehlen; weil die kubanische Wirtschaft von Dilettanten reglementiert wird, weil sie brach liegt, wie das ehemals fortschrittliche Kuba mittlerweile ein Land ist, das kaum produziert; weil Kuba Medikamente und Ärzte exportiert, die im Land fehlen. Weil die kubanische Fehlregierung die falschen Prioritäten setzt, und statt in Krankenhäuser und in das Gesundheitswesen, in Hotels und in ihre Repressionsorgane investiert.
Deutlicher als der spanische Europaabgeordnete Javier Nart kann ich es nicht ausdrucken: Eine „Blockade", die es mit Sicherheit nicht gibt: Alle kubanischen Schiffe und Flugzeuge, alle Schiffe und Flugzeuge gleich welcher Flagge, können ungehindert in allen kubanischen Häfen und Flughäfen ein- und auslaufen, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten, die zwar ein Nachbarland sind, aber gewiss nicht das universelle Universum darstellen (...) Es ist auch nicht angebracht, die von den Vereinigten Staaten verhängten Sanktionen als „Blockade“ zu bezeichnen, wenn man bedenkt, dass dieses Land seit der Aufhebung des US-Embargos für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Arzneimittel im Jahr 2000 der größte direkte ausländische Fleischlieferant Kubas ist. Obwohl Kuba ein Land mit äußerst fruchtbarem Boden ist, ist sein „System“ nachweislich nicht in der Lage, seine Bevölkerung zu ernähren. Sicherlich leidet die kubanische Bevölkerung unter akutem Mangel, aber man kann nicht, ohne zu lügen, die Ausrede der „amerikanischen Blockade“ aufrechterhalten. Sie existiert als solche nicht, vor allem, wenn der größte ausländische Fleischlieferant des Landes die Vereinigten Staaten sind, dasselbe Land, das beschuldigt wird, die Insel zu blockieren. Die Nöte der Insel sind das Ergebnis der 63 jährigen Inkompetenz der Regierung.
Herr Bank bestätigte der Zeitung „Neues Deutschland“ gegenüber noch: Wir stehen an der Seite der kubanischen Bevölkerung und seiner Revolution. Und: Aber Kuba ist ein Land, das für ein anderes Gesellschaftsmodell steht und das unterstützen wir. Woher wissen Sie überhaupt, auf welcher Seite die kubanische Bevölkerung steht, Herr Bank? Ist Ihnen schon in den Sinn gekommen, dass es möglicherweise nicht die Seite der gescheiterten Revolution ist? Viele der älteren Kubaner haben erkannt, dass diese Revolution sie für Jahrzehnte hinters Licht geführt hat. Belogen und betrogen hat man sie. Sie haben ein Leben für dieses System geopfert, um am Ende nicht zu wissen, wie sie den Tag überleben sollen, getreu dem armseligen Mantra „Patria o Muerte“, den die Linke so gern nachplappert. Und die Jugend, Herr Bank, die Jugend identifiziert sich nicht mit diesem System, das sie nicht gewählt hat und das Sie aus der Entfernung von einem vollen Tisch und von demokratischen Verhältnissen aus loben (Sie hier in Vertretung der Linken). Viele der jungen Kubaner wollen in Freiheit leben. Sie vermissen ihre Menschenrechte. Sie haben es satt, die Ideologie über das Leben zu stellen. Sie wollen nicht Fidel Castros Enkel sein. Sie fühlen sich von der Bande greiser, dickbäuchiger Männer, um Díaz-Canel, die Sie unterstützen, nicht vertreten.
Diese Revolution und dieses Regime, denen Sie beistehen, haben diese jungen Kubaner in Geiselhaft genommen. Sie hat man nicht gefragt, wie sie leben wollen; sie werden von der Polizei verunglimpft und misshandelt; ihnen nimmt man die Luft zum Atmen. Diese Jugend, die heute den hoffnungsvollen Slogan „Patria y vida“ ruft, sieht sich gezwungen, auszuwandern, denn ein Leben in unserem Heimatland ist ein Leben ohne Perspektiven. Wissen Sie, wie viele Kubaner das Land in wenigen Jahren verlassen haben? Wissen Sie, dass sie dafür bewusst allerlei Unwegsamkeiten in Kauf nehmen, um irgendwo anzukommen?; Hauptsache weg aus dem Land, das Fidel Castro und die seinen uns gestohlen haben. Dass sie lieber im Meer ertrinken, als in dem Land, in dem sie geboren wurden, zu bleiben? Der Massenexodus nimmt kein Ende, und das haben wir dem totalitären Unrechtsstaat zu verdanken, auf deren Seite Sie sich schlagen.
Und nein, Herr Bank, nicht Kuba steht für ein anderes Modell. Das totalitäre Regime, die von großen Teilen der internationalen Linke unterstützt wird, steht dafür. Kuba stand traditionell zumeist für das Modell Demokratie und Fortschritt, bis Fidel Castro nach seiner Machtergreifung einen anderen Weg als versprochen und als erwartet einschlug, seinen Sozialismus installierte und sich zum Diktator krönte, nachdem er den Diktator Batista gestürzt hatte. Es ist ein gescheitertes System, für das die Weltgemeinschaft sich nicht zu interessieren scheint, und das die linken Idealisten romantisieren. Vom demokratischen Deutschland aus lässt sich leicht ein System verteidigen, in dem die Menschen von den Rechten hierzulande nur träumen können.
Das ist die Doppelzüngigkeit, die nicht nur Mario Vargas Llosa empört.
Nat Neumann, August 2023
Die an dieser Stelle vorgesehenen Inhalte können aufgrund Ihrer aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt werden.
Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Diese Webseite verwendet Cookies, um Besuchern ein optimales Nutzererlebnis zu bieten. Bestimmte Inhalte von Drittanbietern werden nur angezeigt, wenn die entsprechende Option aktiviert ist. Die Datenverarbeitung kann dann auch in einem Drittland erfolgen. Weitere Informationen hierzu in der Datenschutzerklärung.