Le resbala
In den vielen vielen Jahren, in denen ich Spanisch, meine Muttersprache, spreche, habe ich das Verb "resbalar" einzig in seinem realen Sinn benutzt. Etwa, wenn ich auf den spiegelglatten Fluren meiner Schule ausglitt. Resbalar heißt laut Realakademie für spanische Sprache: Unbeabsichtigtes Bewegen über eine glatte oder zähflüssige Oberfläche, wobei in der Regel das Gleichgewicht gestört wird. Ich glaube es nicht einmal im übertragenen Sinne gebraucht zu haben: einen Fehler machen. Aber sicher habe ich es noch nie im selben übertragenen Sinne - im Übrigen auch recht vulgär - benutzt, in dem Kubas Präsident Díaz-Canel diese Phrase genutzt hat, als er sich zu Erklärungen des Weißen Hauses und der US-amerikanischen Botschaft in Havanna bezüglich der antidemokratischen Wahlen in Kuba am 26. März dieses Jahres geäußert hat.
Sie haben immer ein feindliches Narrativ gegenüber Kuba, wir können nichts anderes erwarten, und wir leben nicht im Schatten dieses Narrativs (...)
(...) Nos resbalan die respektlosen Meinungen der US-Regierung; das heißt: Diese Meinungen gleiten an ihm herab. Auf Deutsch: Sie sind ihm egal.
Apropos resbalar, herab gleiten, ausrutschen, Narrativ … Die Diktion des nicht gewählten bzw. undemokratisch gewählten Díaz-Canel ist kein Ausrutscher. Seine Bemerkungen sind regelmäßig peinliche Fehltritte, insbesondere wenn man ihn als Vertreter dieses gebeutelten Landes wahrnimmt. Ehemals begeisterte Fidel Castro die Massen mit seiner Rhetorik. Er „wickelte Millionen von Menschen um den kleinen Finger“ , Generationen hatten an ihn geglaubt, allerdings um am Ende festzustellen: Wir haben Jahre unseres Lebens - manche das Leben selbst - für ein System ohne Perspektiven verloren; alles war umsonst; es hat uns nicht gebracht; es hat uns nur in eine Sackgasse geführt. Doch wir müssen es zugeben: Mit seiner Rhetorik und seinem Charisma hat Castro das Land verändert, viele dachten, zum Guten, heute wissen viele, zum Schlechten.
Mit seinem Ableben haben die Kubaner die Chance nicht ergriffen, ein Land aufzubauen, in dem das Leben lebenswert ist. Der von Raúl Castro eingesetzte Díaz-Canel ist keine Alternative. Mit ihm sind die Kubaner vom Regen in die Traufe gekommen. Zu seinem antidemokratischen Handeln, das auch Castro eigen war, sowie seiner Respekt- und Empathielosigkeit gegenüber Andersdenkenden - Castros Spezialität -, haben sich sein uncharismatische Ego, seine abstoßende Figur und seine bisweilen gewöhnliche Ausdrucksweise gesellt. Angesichts der desolaten Lage des Landes behaupten einige Stimmen aus dem Volk in ihrem blinden Konformismus: „Das wäre mit Fidel nicht passiert …“ Doch unter Fidel Castro ist vieles geschehen, wovon wir keine Ahnung hatten. Die neuen Technologien und sozialen Medien kamen wohl zu spät, doch zeitig genug, um hinter der Maske des Díaz-Canel zu schauen.
Aber, le resbala.
Es scheint so, dass Díaz-Canel nicht nur die Meinung der Amerikaner egal ist; scheinbar le resbala auch, dass viele Kubaner tagtäglich eher überleben als leben, dass Kubaner wegen fehlender gesundheitliche Versorgung sterben, dass Kuba zu den ärmsten Ländern gehört - auch perspektivisch, dass die Kubaner lieber sterben würden bei ihrem Versuch, das Land zu verlassen, als in Kuba zu bleiben, dass die Justiz in Kuba nicht unabhängig ist, dass die Polizei hre Macht missbraucht, dass in Kuba Menschenrechte nicht gelten, dass es in Kuba politische Gefangene gibt, dass die kubanische Politik Familien auseinander gebracht bzw. zerstört hat, dass seine Repression Kinder von ihrer Mütter und Vätern getrennt hat, nur, weil sie anders denken oder ihre Meinung kundtaten.
Wie ich in meinem Buch „Ein kleines Stück Himmel“ konstatiere: „Der neue kubanische Autokrat schrieb hemmungslos darüber, es gäbe genauso viele Helden wie malnacidos, die versehentlich in Kuba geboren wurden. Missgeburten. Seine herabwürdigende Bezeichnung galt Oppositionellen und Andersdenkenden. (…)“
Ja, ich weiß, le resbala. Le resbala die Menschenwürde.
Er scheint es nicht zu wissen: Lo cortés no quita lo valiente. Wohlerzogenheit schließt Standhaftigkeit nicht aus.
Nat Neumann, April 2023
Die an dieser Stelle vorgesehenen Inhalte können aufgrund Ihrer aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt werden.
Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Diese Webseite verwendet Cookies, um Besuchern ein optimales Nutzererlebnis zu bieten. Bestimmte Inhalte von Drittanbietern werden nur angezeigt, wenn die entsprechende Option aktiviert ist. Die Datenverarbeitung kann dann auch in einem Drittland erfolgen. Weitere Informationen hierzu in der Datenschutzerklärung.