Mírame madre
Der kubanische Dichter José Martí soll im Alter von 17 Jahren einen Mitschüler, der sich den spanischen Truppen angeschlossen hatte, als „Abtrünnigen“ (spanisch: apóstata) bezeichnet haben. Daraufhin wurde er vor ein Militärgericht gestellt und wegen „Vertrauensbruchs“ oder „Verrats“ (spanisch: infidencia) zu sechs Jahren Haft verurteilt.
Aus Martís Text „Presido Político en Cuba“ wissen wir von seinen Erlebnissen im Gefängnis, wo er zur Arbeit in den Steinbrüchen von „San Lázaro“ gezwungen wurde. Dies soll ihn politisch radikalisiert haben, in der Haft träumte er erst recht von einem freien Kuba.
Im August 1870 schickte er seiner Mutter ein Foto von sich in Häftlingskleidung mit einer Fessel am Fuß und der Widmung:
Mírame, madre, y por tu amor no llores:
Si esclavo de mi edad y mis doctrinas
Tu mártir corazón llené de espinas,
Piensa que nacen entre espinas flores.
(Sieh mich an, Mutter, und weine nicht um deine Liebe:
Wenn Sklave meines Alters und meiner Lehren.
Dein Märtyrerherz füllte ich mit Dornen,
Bedenke, dass Blumen unter Dornen sprießen.)
Heute hat die kubanische Diktatur Hunderte von Müttern inhaftiert, einige sitzen hinter Gittern, in presidio político - , weil sie wie Martí von einem freien Kuba geträumt und ihr Recht auf Meinungsäußerung, unser aller Recht, wahrgenommen haben. Andere Mütter sind nur scheinbar frei, denn solange ihre Kinder im Gefängnis sitzen, misshandelt und gefoltert werden, sind auch sie von der Unrechtsjustiz des totalitären Regimes von Díaz-Canel verurteilt.
Die Mütter der politischen Gefangenen dürfen um ihre Kinder weinen. Die Kinder der politischen Gefangenen dürfen um ihre Mütter weinen. Sei es aus Schmerz oder aus Wut. Sie wissen, dass die Dornen in ihren Herzen nicht von ihnen kommen, nicht weil sie Sklaven ihres Alters und ihrer Lehren sind. Vielmehr haben sie ihre Herzen mit Liebe und Stolz gefüllt.
Mögen unter ihren Dornen bald Blumen sprießen!
Diese trauernden Mütter, denen die kubanische Diktatur ihre Kinder entrissen hat, haben sich in einem offenen Brief an das kubanische Volk und die Welt gewandt. Sie schreiben neben anderen: Wir, die Mütter der politischen Gefangenen des 11. Juli, bitten unsere Landsleute und alle Menschen guten Willens in der Welt um Solidarität mit unserem Schmerz angesichts der ungerechten und kriminellen Situation unserer Söhne, und Töchter, die seit fast drei Jahren ihrer Freiheit beraubt sind. (...) Mit dieser Bitte machen wir deutlich, dass keine Drohung und kein Druck unsere Gefühle zum Schweigen bringen oder uns von unserer Aufgabe als Mütter ablenken können. Wir tragen unsere Stimme, unsere Liebe zu unseren Kindern und unsere Überzeugung, dass sie unschuldig sind, wie ein Banner mit uns. (vollständiger Brief).
Nat Neumann, Mai 2024
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